Von seidenen Fäden, 2014
Gemeinschaftsarbeit mit Satomi Edo

Zu den Werken von Satomi Edo und Angelika Höger in der Maschinenhalle Zeche Scherlebeck in Herten

Satomi Edo und Angelika Höger nutzen die alte Maschinenhalle nicht nur als Gelegenheit, ihre Werke auszustellen, sie verändern, ja verzaubern diesen so geschichtsbeladenen Raum, den die Schwerindustrie hinterlassen hat. Die Künstlerinnen verwandeln sie zu einem „Spielplatz“ fernab jeder Geschichtsseligkeit. Hier können sie unbefangen und unbelastet ihren Assoziationen freien Lauf geben. Von der steingewordenen Industriegeschichte lassen sie sich nicht einschränken. Vielmehr nutzen sie die räumlichen und technischen Möglichkeiten, um ihrem Spiel freien Lauf zu lassen. Sie lassen vergessen, dass dieser Raum das Herzstück einer schwerindustriellen Produktionsanlage war. Das Lastende weicht dem Schwebenden, die Erstarrung der Bewegung.

Über den Köpfen der Betrachter beherrscht Satomi Edo den Luftraum. Tatsächliche Fäden durchziehen den Raum. Darauf balanciert im Modus des Virtuellen nämlich als Videoprojektion, eine Frau im Nachthemd – eine Traumtänzerin als bloße Erscheinung.

Die kinetischen Objekte von Angelika Höger nehmen den Bodenraum ein. Gegenstände führen merkwürdige, geradezu ungelenke Bewegungen vor und erzeugen ungewohnte Laute, bewirken einen Luftstrom, der wiederum andere Dinge in Bewegung versetzt. Alltagsdinge verwandeln sich in absurde Figurationen, die in einer seltsamen und fremdartigen Choreographie zusammenwirken. Der Industrieraum ist ein künstlicher Theaterraum, in dem die Dinge sich verselbständigen. Es findet ein freies Spiel statt, das nicht der Notwendigkeit unterworfen ist als vielmehr dem Ästhetischen Raum gibt, eine andere Welt jenseits der Zweckhaftikgeit konstituiert.

Geradezu surreale Situationen entstehen. Ein Topfdeckel schleift und schwebt über dem Boden, gezogen von einer unsichtbaren Schnur, die wiederum von den Speichen eines Regeschirmskeletts angetrieben wird. Eine Glühbirne schlägt unregelmäßig auf ein Tamburin, zittert unruhig vor der Membrane und erzeugt Laute, die man nur schwerlich aus musikalisch bezeichnen kann. Diese Membranen wiederholen sich als optische Erscheinungen im Luftraum. Hier bewegen sie sich allein durch die leichte Luftströmung.

Radspeichen werden zu Saiten eines Instruments, Overheadprojektoren zu Quellen phantastischer, geradezu irrealer Bildwelten und Lampenschirme zu Raumschiffen, die kryptische Tonbotschaften absetzen.

Es ist ein Panoptikum von unterschiedlichsten Erscheinungen und Klängen, die aber alle eine Verzauberung eines Raumes bewirken, gleichsam ein Jahrmarkt, dessen Zweck die Illusion einer vergnügten Welt ohne Sorgen ist. Allerdings werden auf der Kirmes von Edo und Höger die Existenzbedingungen dieser Illusion nicht verhüllt sondern offengelegt. Aber dennoch – oder soll man sagen – gerade dadurch entsteht eine poetische Atmosphäre. Die eigentliche Verwandlung der Dinge findet in der Vorstellung des Betrachters statt, der die Differenz des wohlbekannten Alltagsdinges zu seiner hier demonstrierten bloß ästhetischen Funktion nicht nur akzeptiert sondern assoziativ weiterführt. Das Gefühl obsiegt über die Rationalität.

Die bloße Bewegung wird zur Handlung, Dinge werden zu Individuen, die ihren eigenen Willen entfalten. Auch wenn man weiß, was geschehen wird, wird man von dieser Spannung gefangen. So wie die schlafwandelnde Seiltänzerin immer in Gefahr ist, abzustürzen, so sind die Dinge in einer prekären Balance, die immer auch gestört wird. Improvisation gehört zur Grundbedingung solcherart Kunst. Vollendung geschieht nicht in den Dingen sondern in den Köpfen.

Für den Betrachter hat das auch ein meditatives Moment. Er wird für die Zeit, die er auf dieser Bühne verbringt aus seinem Alltag herausgenommen und kann sich auf seine spielerischen Möglichkeiten konzentrieren, auf sein Assoziationsvermögen. Hier ist die Macht der Zwecke und des bloßen Überlebens verbannt zugunsten eines Reiches der Phantasie.

Es sind die prekären Verhältnisse des Lebens selbst, die hier auf humorvolle Weise ins Bild gesetzt sind. So wird ein auf Solidität und Statik angelegter Raum mit einer klaren Zwecksetzung zu einem Labor des poetischen Ausdrucks. Jede Starrheit und Festlegung ist aufgehoben in einer Atmosphäre der Leichtigkeit und der harmonischen und auch absurden Bewegung. Das, was nach Bastelei aussieht, wird so zu einem Sinnbild des Lebens und der Verwandlung.

  • Kunst in der Maschinenhalle
    Zeche Scherlebeck, Herten

  • Link zur Ausstellung
  • Satomi Edo
  • Text: Prof. Dr. Ferdinand Ullrich, Kunsthalle Recklinghausen
    Fotos und Video: Lucie Marsmann