Text: Friederike Fast
Auf wundersame Weise lebendig scheint das Werk von Angelika Höger. Bewegung, Raum und Sound spielen nicht nur in ihren Performances und musikalischen Auftritten eine wichtige Rolle, sondern auch in ihren Installationen werden die Dinge oftmals wie von Zauberhand in Bewegung versetzt. Längst ausgediente Plattenspieler, Föhne, Mixer oder Massagegeräte – Kulturwerkzeuge in allen Facetten – stimmen an zu einem kuriosen, oft auch klangvollen Reigen. Wie Karussells versetzen die drehenden Installationen den Betrachter in einen lustigen Taumel. Hemmungslos quellen Erbsen über den Rand der Gefäße hinaus und kullern wie in der Erzählung von den Heinzelmännchen aus Köln über den Boden, wo sie den Besucher gefährlich ins Rutschen bringen können (vgl. Aufbruch nach Süden, 2008 oder Die wohltemperierte Freiheit, 2009.)
Wer die Künstlerin einmal bei ihrer Arbeit beobachten darf, stellt fest, dass sie aus ihrem Instrumentarium ganz alltäglicher Dinge fingerfertig mit gleichbleibendem Tempo – faszinierend beinah wie eine Spinne – ihr assoziatives Netz spinnt. Dabei entlockt sie den zum Einsatz kommenden Gegenständen nicht nur ihre akustischen, sondern vor allem ihre visuellen Qualitäten. In ihren überbordenden Arrangements aber auch den grafischeren Strukturen lässt sich eine gewisse Ordnung ausmachen. So finden sich in diesem scheinbaren Chaos aus Gerippen von Schirmen ganz unterschiedlicher Formate und Käfiggittern oder den in tausend Farben schillernden Kunstblumen und Ketten wiederholt Reihungen und Ansammlungen von miteinander verwandten Gegenständen. Diese vorsichtigen Versuche einer widerspenstigen Zähmung werden jedoch immer wieder gezielt durchbrochen und das Experiment behält die Oberhand in diesem gewagten Balanceakt zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Redundanz und Verwandlung, zwischen pointierter Gestaltung und lustvollem aus der Form Fallen. Angelika Höger kultiviert das Experiment jedoch weniger im Sinne eines wissenschaftlichen Versuchs, der ein planerisches Ausprobieren nach einem Protokoll vorsieht, sondern vielmehr als Improvisation. Dieser Begriff scheint nicht nur als ein Terminus der Musiktheorie sinnvoll in Bezug auf das geräuschvolle Œuvre von Angelika Höger. Auch in seiner alltäglicheren Verwendung scheint er passend, um sich dem Werk anzunähern. Improvisation kann als eine besondere Form kreativer Schöpfung vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Knappheit lebensnotwendig sein. So konnte man beobachten, dass in kommunistischen Ländern zum Beispiel alte Zeitungen oder Matratzen aus einem Mangel an Baumaterialien heraus als Dämmstoffe für Häuser dienten. In Schrebergartenkolonien lassen sich aber auch heute und hierzulande immer wieder diese sonderbaren Formen einer erfinderischen Umnutzung und Umwertung alltäglicher Gegenstände finden. Sie bilden einen befreienden und erfrischenden Gegenpol zu dem oftmals strengen, kleinbürgerlichen Ordnungsraster. Und tatsächlich beackert Angelika Höger selbst das Grabeland eines solchen Kleingartens: „Ich liebe es zu sehen, wie alles wächst. Vor allem aber schätze ich diesen Ort, weil einem die Natur immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht.“ – In ihrer künstlerischen Arbeit widmet sich Höger liebevoll den besonderen Details der Dinge und ihren Eigenschaften und verwandelt sie improvisierend in etwas anderes – aus Milchtüten schnitzt sie Lampions und bestückt Konservenbüchsen mit Flügeln, die im Schattenspiel davon zu fliegen scheinen (vgl. Housewife engineering, 2007 und Giochi d`ombra, 2009)…
Die Welt der Tiere findet aber nicht nur als fabelhafte Materialcollagen Eingang in das Werk von Angelika Höger. In atemberaubender Geschwindigkeit strickte die Künstlerin 2010 gleich eine ganze Unterwasserlandschaft. Als pars pro toto stehen die Arme einer Krake für das ganze Tier und imitieren eindrücklich dessen Eigenschaft, sich flexibel an die Dinge anzuschmiegen. Dabei scheut die Künstlerin keinesfalls die Nähe zur angewandten Kunst. So kann ein solcher Tentakel auch als Schal dienen, indem er sich um den Hals seines Trägers windet. Diese enge Begegnung von Tier und Mensch behandelt die Künstlerin in ihrem Werk aber auch an anderer Stelle, wo sie sich zumeist den weniger exotischen (Haus-) Tieren widmet. Hamster, Pferde, Weinbergschnecken finden sich dort ebenso wie auch die geliebten Schokohasen oder die kuscheligen und meist grell bunten Spielzeugtierchen. Diese domestizierten Formen der Fauna sind aber nicht bloßes Objekt ihrer künstlerischen Vision, sondern werden zu einem Gegenüber, zum künstlerischen Mitspieler. So hält Höger in dem Video Laufzeitanalyse (2008) die Kamera frontal auf ein Hamsterlaufrad, in dem eine respektive neun Schnecken einen Wettlauf vollführen. Das Rad mag an eine Uhr, eine Wage oder aber auch an eine Art Siegeskranz erinnern, der statt mit Lorbeeren mit Salat bespickt ist. Während sich die einzelne Schnecke in einer überraschenden choreographischen Eleganz langsam aber kontinuierlich im Kreis bewegt, kriechen die neun Schnecken unterschiedlich schnell, so dass sich aufgrund des Gewichts der Schneckenhäuser das Rad nicht fortwährend in eine Richtung bewegt, sondern auf der Suche nach Gleichgewicht hin- und herschwingt. Einzelne Schnecken kriechen schließlich übereinander oder brechen gar aus dem System aus. Der absurde Versuchsaufbau mit mehreren Schnecken in einer ihnen fremden Umgebung ermöglicht auf diese Weise quasi die Beobachtung potenzierter Langsamkeit bis hin zum Kollaps des Systems.
Für Lucy in Las Vegas (2008) fungierte der Hamster der Künstlerin als Akteur des Films. In eine Miniaturlandschaft aus glitzerndem Tand und knackigem Gemüse versetzt, erforscht bzw. erprobt das Tier auch geschmacklich seine ungewohnte Umgebung. Spielerisch stellt die Künstlerin damit eine Analogie her zwischen dem Haustier und dem Menschen, der in solcherlei verführerischen Spielhöllen auf der Suche nach dem kurzweiligen Glück, dem ewigen Traum vom Paradies (oder auch dem Schlaraffenland) frönt. Der Titel weist eine augenfällige Nähe zum Titel des Buches Learning from Las Vegas von Robert Venturi aber auch zum Beatles-Song Lucy in the Sky with Diamonds auf. Während der Titel also klar auf die Populärkultur verweist (den Hit von John Lennon und die amerikanische Kunststadt Las Vegas), beruft sich das Ende des Films auf eine andere Tradition: Die Künstlerin gibt den Blick in das Innere der Hamsterhöhle frei, in dem sich die bearbeitete „Beute“ des Hamsters wie ein barockes Vanitas-Stillleben zeigt. Auf diese Weise unterstreicht sie die Vergänglichkeit des schönen Scheins nochmals. In der Vergangenheit präsentierte die Künstlerin den Film bevorzugt in einem Osnabrücker Schnellimbiss (2008) bzw. in einer Küche (2012) und setzte die Arbeit damit außerdem in Bezug zu den plötzlich „exotisch“ erscheinenden menschlichen Essgewohnheiten.
Gwendolin, ein anderer Hamster, war die Bewohnerin jener kurioser Brothäuser, die in Kooperation mit der Fotografien Christina Lux als fotografische Reihe festgehalten wurden. Von der Künstlerin geschnitzt, dem Hamster als Behausung zur Verfügung gestellt und anschließend von einer anderen Person fotografiert, tragen auch diese Fotos sichtbar die „Spur(en) des Anderen“ (Emmanuel Lévinas). Zwischen Futter und gemütlicher Höhle verwandelt das Tier die vom Menschen bereitgestellte Struktur schöpferisch in einen artgerechten Unterschlupf. In dieser kuriosen Verbindung von künstlerischer und tierischer Gestaltung hält uns aber auch diese Arbeit den Spiegel vor. Über das Werk tritt der Betrachter mit dem Tier in Beziehung, um erst ganz er selbst zu werden. Denn in die Rolle des Beobachters versetzt, lernt er nicht nur etwas über das Leben eines Haustieres, sondern auch über sich selbst, über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier, zwischen Kultur und Natur. Denn worin unterscheidet sich der tierische Drang diese kunstvollen Nester zu bauen, eigentlich von dem menschlichen Bedürfnis ein Dach über den Kopf zu haben?
Ob in den raumgreifenden Installation bewegter Alltagsgegenstände oder den unprätentiösen Filmen und Fotos – das Werk von Angelika Höger weckt immer wieder die besondere Faszination für das Einfache und Altbekannte. Unter der künstlerischen Hand verwandelt es sich in ein schwelgerisches Kuriosum – ein ganz eigenes Bestiarium, das in dem ständigen Prozess einer widerspenstigen Zähmung, das Kultivierte in dem Anderen und das Rohe in uns selbst offenbart.
by Friederike Fast
Angelika Höger's work seems miraculously alive. Movement, space and sound are not only an important part of her performances and musical act, but also of her installations, things start moving as if enchanted. Long ago discarded record players, hair dryers, mixers, massagers – cultural tools of all facets – are pitched to an often curious and tuneful round dance. Like merry-go-rounds the installations put the viewer into a cheerful dizziness. Peas are gushing out of their containers unrestrained and roll around the floor – like in a Cologne fairytale - where they might pose a slippery danger to visitors (see Leaving for the South , 2008 or Well-Tempered Freedom 2009). If you have the chance to observe the artists at work, you will realise, that she spins her associative net – almost like a fascinating spider – out of ordinary things, nimble-fingered, in a steady rhythm. Thereby she not only elicits their acoustical, but more importantly their visual qualities. In her exuberant arrangements, but also in the graphic structures one finds some order. In the apparent chaos of umbrella skeletons and cages of different format or the iridescent multi-coloured artificial flowers and beads there are repetitions and sequences of related objects. These careful tries to tame the fractious, are subsequently broken and the experiment prevails in this daring balancing act between chaos and order, between redundancy and change, between pointed compositions and the relish of leaving the form behind. Angelika Höger's understanding of an experiment is less that of a scientific trial, needing a planed protocol, but much more an improvisation. This term seems to make sense especially, because also taken from musical theory, to describe Angelika Höger's Oeuvre. Also in it's daily use it seems to be the fitting term to approach the work. Improvisation can take on a special form of creativity and can be vital in times of scarcity. This was apparent in many communist states, where newspapers or old mattresses were used for insulation when building materials were missing. In allotment gardens especially, one finds these strange forms of inventive up cycling or recycling of ordinary objects. They create a refreshing counterpart to the often strict and petty bourgeoise regulation framework. Actually Angelika Höger calls such an allotment her own and says: “I love to see how everything grows. Most of all I appreciate the space because nature loves to throw a spanner in your plans”.
In her work Höger pays loving attention to the special details of objects and their inherent qualities and changes them into something else, improvising – milk cartons get carved into lampoons, tin cans sprout wings, seemingly flying away in their shadow play (see Housewife engineering , 2007 and Giochi d'ombra , 2009)...
The world of animals does not only find a way into Angelika Höger's work in form of fabulous collages. In breath taking speed the artist knitted in 2010 a complete underwater-landscape. As pars pro toto the arms of an octopus stand for the entire animal and imitate impressively, their capacity to flexibly huddle against things. The artist hereby does not shun the proximity to the applied arts. Such a tentacle can even serve as a scarf, winding around its wearer's neck. The artist embraces this close encounter of animal and human in a different part of her work, where she applies herself to (household) pets, like hamsters, horses, Roman snails as well as to chocolate bunnies or cuddly, garishly colourful toy-animals. These domesticated forms of fauna are not only objects of her artistic vision but they become her opposite, her artistic partners. For example Höger points the camera in her video Running-Time-Analysis (2008) head-on to a hamster wheel, where respectively nine Roman snails perform a race. The wheel may remind us of a clock, a scale or maybe a crown, peppered with salad instead of laurels. While a single Roman snail moves with a surprisingly choreographed elegance, slowly but continuously in a circle, nine Roman snails move with different speeds, thus making the wheel swing back and forth trying for an equilibrium, instead of moving forward in one direction, which is caused by the different weight of the Roman snails. Single snails start moving on top of each other or break out of the system completely. The absurd experimental set-up with a number of Roman snails in surroundings foreign to them, enables the viewing of increased slowness up to the system collapse.
For Lucy in Las Vegas (2008) the artists' hamster became protagonist of the movie. In a glittering landscape of knick-knacks and fresh vegetables, the animal explores and tastefully samples this new terrain. Playfully the artist makes an analogy between pet and human, who searches in such alluring gambling dens for a quick fix, the eternal dream of paradise or the land of milk and honey. The title holds a striking resemblance to the book Learning from Las Vegas by Robert Venturi, but also to the Beatles song Lucy in the Sky with Diamonds. While the movie title clearly refers to pop culture (John Lennon's hit and the artificial American town of Las Vegas), the end refers to a different tradition: the artist opens up the view into the inner hamster den, where the adapted “bounty” looks like a baroque Vanity still-life. This way the artist stresses the perishability of appearances one more time. In the past the artist preferred to show the movie inside of a fast-food joint in Osnabrück (2008) and in a kitchen (2010) and thus put the work in context with human eating habits, making them suddenly seem “exotic”.
Another hamster called Gwendolyn, was the inhabitant of those odd bread-houses , which have been documented as a series in cooperation with the photographer Christina Lux. Carved by the artist and presented to the hamster as housing, then being photographed by someone else, these pictures visibly show the “Traces of Another” (Emmanuel Levinas). Between feed and comfortable cave the animal transforms the human made sculpture creatively into adequate animal housing.
In this curious connection of artistic and animalistic creation, the work holds up a mirror to the audience. Through the work the spectator gets in contact with the animal to become whole. In the role of spectator he learns not only something about a pet's life, but also about himself, the relation between human and beast, between culture and nature. How does the animal need to build these artful nests differ from the human need for a roof over one's head.
Whether in the three-dimensional installations of moving every day objects or in the unpretentious movies and photographs, Angelika Höger's work evokes again and again the special fascination for the simple and well-known. Under her artistic hands it changes into an opulent curiosity – a bestiary of its own kind, which displays in a never ending process of a fractious taming, the raw in ourselves and the cultivated in the other.